"Vergolden, statt verkohlen": Gesundheitsrisiko Acrylamid
Von Jonas Kühn

Ein lautes Zischen, heißer Dampf steigt empor. Der Geruch von Fritteusenfett liegt in der Luft. In einem siedend heißen Bad im Frittenfett werden aus kalten Kartoffelstreifen innerhalb weniger Augenblicke goldgelbe, knusprige Pommes Frites. Für einen Großteil der Bevölkerung ein echter Genuss, für manch anderen ein gefährliches Spiel mit der eigenen Gesundheit. Denn zu heiß Frittiertes wie Pommes Frites, Kartoffelchips und Chicken Wings steht im Verdacht, Krebs zu verursachen. Im Kern der Debatte geht es um einen bestimmten Giftstoff namens "Acrylamid". Für den Schadstoff gelten seit dem 11. April 2018 in der EU neue Regeln.
Acrylamid entsteht überall dort, wo Zucker oder Stärke unter Hitzeeinwirkung auf die Aminosäure Asparagin trifft – vorwiegend in Nahrungsmitteln mit niedrigem Wassergehalt. Acrylamid ist also bei weitem kein Schadstoff der Neuzeit, sondern begleitet den Menschen, seit er seine Nahrung backt oder brät. Heute gehören auch das Frittieren, Grillen und Rösten dazu. Acrylamid kann bereits bei Temperaturen ab 120 Grad Celsius entstehen, ab 170 Grad herrschen nahezu perfekte Bedingungen für die Bildung des Schadstoffs.
Verdacht auf erbgutschädigende und krebserregende Wirkung
Acrylamid kann über die Nahrung, die Haut und die Atmung in den Körper aufgenommen werden. Es kann Augen und Haut reizen und empfindlicher für andere Stoffe machen. Versuche an Labortieren liefern zudem Hinweise darauf, dass der Stoff das Erbgut schädigen und Krebs auslösen kann. Die genauen Zusammenhänge und Mechanismen sind den Forschern zwar noch nicht bekannt, vermutet wird jedoch: Acrylamid kann die Erbsubstanz des menschlichen Körpers direkt angreifen. Es wird von der Leber zu Glycidamid verarbeitet. Dieses Abbauprodukt wird durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) als erbgutschädigend und krebserregend eingestuft, da es sich an die Gensubstanz anheftet und diese manipulieren kann. Glycidamid kann auch bereits beim Frittieren stärkehaltiger Lebensmittel entstehen, insbesondere bei der Verwendung von Sonnenblumenöl.
Neue EU-Verordnung setzt strenges Limit
Aufgrund der toxischen und kanzerogenen Wirkung von Acrylamid und dessen Abbauprodukt Glycidamid sah sich die EU-Kommission zur Verabschiedung einer Verordnung gezwungen. Diese definiert strenge Obergrenzen für den maximalen Acrylamid-Gehalt in Lebensmitteln. Lebensmittelhersteller sind seit dem 11. April 2018 dazu verpflichtet, die Dosis an Acrylamid in ihren Produkten unterhalb der erlaubten Richtwerte zu halten. Zu diesen Lebensmitteln zählt die EU heiß frittierte Produkte wie Pommes Frites und Kartoffelchips, Brot, Frühstückscerealien, feine Backwaren wie Plätzchen und Lebkuchen, Röstkaffee und Instant-Kaffee sowie Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder. Der umfassende Maßnahmenkatalog beinhaltet unter anderem Regelungen zur Lagerung und Verwertung von Kartoffeln, zur Erhitzung von Teigwaren und Röstkaffee und Empfehlungen für Endverbraucher auf Produktverpackungen und -websites sowie in Produktvideos.
(1) Cerealien nicht auf Vollkorn- und/oder Kleiebasis. Das in der größten Menge enthaltene Getreide bestimmt die Kategorie.Die neuen EU-Richtwerte im Detail: (Quelle)
Lebensmittel
Richtwerte
[µg/kg]
Pommes Frites (verzehrfertig)
500
Kartoffelchips aus frischen Kartoffeln und aus Kartoffelteig;
Cracker auf Kartoffelbasis;
Andere Kartoffelerzeugnisse aus Kartoffelteig750
Weiches Brot a) auf Weizenbasis
50
b) außer Brot auf Weizenbasis
100
Frühstückszerealien (ausgenommen Porridge): Kleie-Erzeugnisse und Vollkorngetreide, gepuffte Körner
300
Frühstückszerealien (ausgenommen Porridge): Erzeugnisse auf Weizen- und Roggenbasis (1)
300
Frühstückszerealien (ausgenommen Porridge): Erzeugnisse auf Mais-, Hafer-, Dinkel-, Gerste- und Reisbasis (2)
150
Kekse und Waffeln
350
Cracker, ausgenommen Cracker auf Kartoffel-/Erdapfelbasis
400
Knäckebrot
350
Lebkuchen
800
Den anderen Erzeugnissen in dieser Kategorie ähnliche Erzeugnisse
300
Röstkaffee
400
Instant-Kaffee (löslicher Kaffee)
850
Kaffeemittel ausschließlich aus Getreide
500
Kaffeemittel aus einer Mischung von Getreide und Zichorie
(2)
Kaffeemittel ausschließlich aus Zichorie
4.000
Säuglingsnahrung, Getreidebeikost für Säuglinge und Kleinkinder, ausgenommen Kekse und Zwieback (3)
40
Kekse und Zwieback für Säuglinge und Kleinkinder (3)
150
(2) Der für Kaffeemittel aus einer Mischung von Getreide und Zichorie geltende Richtwert berücksichtigt den relativen Anteil dieser Zutaten im Enderzeugnis.
(3)Gemäß der Definition in der Verordnung (EU) Nr. 609/2013.
Verbraucher-Tipps: So lässt sich die Bildung von Acrylamid zu Hause vermeiden
Damit Verbraucher auch in der heimischen Küche oder beim geselligen Grill-Abend von dem Giftstoff verschont bleiben, gilt es beim Backen, Braten und Grillen einige Grundregeln zu beachten. Die Goldene Regel ist dabei "Vergolden, nicht verkohlen":
- Kartoffel- und Getreideprodukte nicht scharf anbraten: Im mittleren Temperaturbereich bleiben und hitzestabiles Öl oder Fett benutzen.
- Bratkartoffeln aus gekochten Kartoffeln zubereiten, da sie kürzer gebraten werden müssen.
- Beim Backen: Mit Umluft bis maximal 180 Grad Celsius, ohne Umluft höchstens 200 Grad Celsius.
- Backpapier benutzen: Legen Sie eine Schicht Backpapier zwischen Backblech und Lebensmittel, um eine zu starke Bräunung von unten zu verhindern.
- Dicke Pommes bevorzugen: Acrylamid bildet sich insbesondere in den Randschichten. Daher beinhaltet eine Portion dicker Pommes weniger von dem Schadstoff.
- Plätzchen bei Ober- und Unterhitze bei maximal 190 Grad Celsuis backen, bei Umluft nicht heißer als 170 grad Celsius.
- Verwenden Sie möglichst immer Ei oder Eigelb, da es die Bildung von Acrylamid verringert.
- Egal ob beim Backen, Braten oder Grillen: Erhitzen Sie kohlenhydrathaltige Lebensmittel nur so lange, bis sie eine goldgelbe Farbe annehmen. Je stärker die Bräunung, desto höher in der Regel der Acrylamid-Gehalt.
- Vermeiden Sie den Verzehr von zu stark gebräunten, verbrannten oder verkohlten Lebensmitteln. Diese können hohe Mengen von gesundheitsschädlichem Acrylamid enthalten und schmecken in den meisten Fällen auch nicht mehr.
- Keine überlagerten oder zu kühl gelagerten Lebensmittel verwenden: Insbesondere bei Gemüsesorten wie Kartoffeln begünstigen lange Lagerzeiten und zu niedrige Lagertemperaturen den Abbau von Stärke und die Freisetzung von Glucose und Fructose. Die beiden Zuckerarten gelten beim Erhitzen als Hauptverdächtige für die Entstehung von Acrylamid.
- Die Aufnahme von Acrylamid lässt sich um das fünf- bis sechsfache verringern, wenn nur einmal pro Woche Lebensmittel aus besonders belasteten Produktgruppen (siehe weiter oben) verzehrt werden.