Mittelohrentzündung beim Kind: Was hilft?
Von Christian Schlieker
Etwa 75 Prozent aller Kleinkinder haben am Ende des neunten Lebensjahres mindestens eine Mittelohrentzündung durchgemacht – eine Statistik, die man Eltern am liebsten vorenthalten möchte. Aber gerade im Sommer ist Hochzeit für Infektionen, die schnell auf das Ohr übergreifen können. Beim Planschen in Seen oder im Meer beispielsweise wäscht das Wasser nicht selten die schützende Fettschicht im Gehörgang aus. Dadurch können Keime leichter eindringen und sich vermehren. Für medipresse erklärt Prof. Dr. med. Jan Maurer, Chefarzt der HNO-Klinik und Ärztlicher Direktor des Katholischen Klinikums Koblenz–Montabaur, warum vor allem Babys und kleine Kinder betroffen sind und wie man sich schützt.
Die Mittelohrentzündung ist einer der häufigsten Gründe, warum ein Kind zum Arzt muss: „Die Wahrscheinlichkeit, an einer akuten Otitis media, so der Fachbegriff, zu erkranken, ist zwischen dem 6. und 15. Lebensmonat am größten“, sagt Prof. Maurer, Chefarzt der HNO-Klinik und Ärztlicher Direktor des Katholischen Klinikums Koblenz–Montabaur. „Etwa 10 Prozent aller Kinder haben bis zum dritten Lebensmonat mindestens eine Episode einer akuten Mittelohrentzündung durchgemacht. Am Ende des dritten Lebensjahres sind es fast 50 und am Ende des neunten Lebensjahres etwa 75 Prozent. Aber auch Erwachsene erkranken daran, meist ausgelöst durch starke Erkältungen.“ Besonders besorgniserregend: In den letzten Jahren beobachten Ärzte immer häufiger Komplikationen beim Krankheitsverlauf.
Herr Prof. Maurer, wie entsteht eine Mittelohrentzün- dung?
Prof. Maurer: Ausgelöst wird eine Mittelohrentzündung fast immer durch Infekte der oberen Atemwege. Bakterien und Viren besiedeln die Schleimhäute des Nasen- und Rachenraums. Von dort gelangen sie über einen kleinen Kanal, die so genannte Eustach‘sche Röhre, ins Mittelohr (siehe Grafik; d. Red.).
Was sind die ersten Symptome?
Prof. Maurer: Eine eitrige Mittelohrentzündung geht mit relativ akut einsetzenden starken Ohrenschmerzen einher. Diese nehmen in den folgenden Stunden zu. Weitere typische Symptome sind ein Druckgefühl im Ohr, vermindertes Hörvermögen und öfter auch Fieber.
Warum leiden Kinder besonders häufig unter Mittelohrentzündungen?
Prof. Maurer: Säuglinge und Kleinkinder sind von dieser Erkrankung wegen ihres anfälligeren Immunsystems besonders häufig betroffen. Zudem sind bei ihnen die Ohrtrompeten (auch Eustach‘sche Röhre genannt; d. Red.), die Nasen-Rachen-Raum und Mittelohr verbinden, wesentlich kürzer als bei Erwachsenen. Bakterien oder Viren können somit leichter ins Mittelohr dringen und dort eine schmerzhafte Schleimhautentzündung verursachen.
Wann sollte ich den Arzt aufsuchen?
Prof. Maurer: Beim Auftreten typischer Symptome wie pulsierenden Schmerzen, vermindertem Hörvermögen und Fieber sollte auf jeden Fall der HNO-Facharzt aufgesucht werden. Dieser untersucht mit einem Ohr-Mikroskop, ob die Trommelfelle gerötet sind oder eventuell ein wässriger Erguss vorliegt. Auf Grundlage dieses Befunds, klinischer Untersuchungen sowie der Anamnese, der Krankheitsvorgeschichte, entscheidet er dann über die notwendigen Therapiemaßnahmen.
Was kann man gegen die Beschwerden tun?
Prof. Maurer: 60 Prozent aller Mittelohrentzündungen heilen innerhalb der ersten 24 Stunden ohne Medikamente aus. Deshalb wird empfohlen bei einer Erkrankung zunächst zwei bis drei Tage zu beobachten, also ein „abwartendes Therapiekonzept“. Ratsam sind abschwellende Nasensprays oder –tropfen, die den Sekretabfluss aus dem Mittelohr erleichtern und die Durchlüftung verbessern. Von Fall zu Fall ist die Gabe eines Antibiotikums erforderlich.
Wie lange dauert die Erkrankung?
Prof. Maurer: 14 Tage nach der Diagnose sollten die akuten Entzündungszeichen abgeklungen sein. Häufig wird aber über diesen Zeitraum hinaus ein Erguss des Mittelohrs beobachtet. Vier bis sechs Wochen nach Therapiebeginn sollten alle Krankheitszeichen und pathologischen Befunde abgeklungen sein.
Welche Komplikationen können bei Mittelohrentzündungen auftreten?
Prof. Maurer: Es ist möglich, dass das Sekret einen so starken Druck auf das Trommelfell ausübt, dass dieses platzt. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Entzündung auf die Knochenbälkchen der angrenzenden Hohlräume im Warzenfortsatz hinter dem Ohr (Mastoiditis) übergreift oder es zu einer Hirnhautentzündung (Meningitis) oder gar einem Hirnabzess kommt. Diese Komplikationen werden in den letzten Jahren wieder häufiger beobachtet. Bei wiederholten Erkrankungen kann auch eine chronische Mittelohrentzündung entstehen.
Wie kann ich vorbeugen?
Prof. Maurer: Nur im begrenzten Rahmen. Viel Bewegung an der frischen Luft und eine gesunde Ernährung sind die besten Schutzmaßnahmen. In Räumen für genügend Luftfeuchtigkeit sorgen und nicht rauchen.