Wie erkenne ich, ob eine Rücken-OP unnötig ist?
Herr Dr. Mariano- wicz, sie sagen, dass 80 Prozent der fast 190.000 Bandschei- ben-OPs im Jahr überflüssig sind. Warum wird hierzulande so viel operiert?
Dr. Marianowicz: Es wird gerne mit der demographischen Entwicklung in der Bundesrepublik argumentiert. Richtig ist, dass wir immer älter werden und dadurch natürlich auch die Verschleißerscheinungen – insbesondere bei einem derart beanspruchten Körperteil wie dem Rücken – zunehmen. Damit lässt sich aber nicht begründen, dass sich – wie der AOK-Krankenhausreport 2013 belegt – die Zahl der Bandscheibenoperationen zwischen 2005 und 2010 verdoppelt hat. So schnell altert die Gesellschaft dann doch nicht. Hinter dem sprunghaften Anstieg der chirurgischen Eingriffe stecken vielmehr zwei wesentliche Aspekte: Zum einen handfeste wirtschaftliche Interessen der Kliniken, die eine enorme Zunahme an Krankenhausbetten und Operationskapazitäten aufweisen und diese natürlich ausschöpfen müssen, damit sich der Betrieb rechnet – zum anderen aber auch das Urvertrauen in die bildgebenden Verfahren wie CT und MRT. Diese liefern zwar präzise und faszinierende Aufnahmen, sagen aber im Grunde nichts über den Grad der Beschwerden des Betroffenen aus. Es gibt viele Menschen, deren Rücken auf dem Bild wie eine eilig verlassene Baustelle aussieht – die aber vollkommen schmerzfrei sind. Wer diese Menschen trotzdem operiert, handelt ohne medizinische Rechtfertigung. Aber auch für die Menschen mit Beschwerden stehen minimal-invasive und konservative Therapieformen bereit. Übrigens: Je nachdem, welche Studie man zu Rate nimmt, ist erwiesen, dass zwischen 30 und 45 Prozent aller Rückenoperationen nicht einmal den gewünschten Erfolg bringen.
Wie erkenne ich, ob eine OP evtl. unnötig ist?
Dr. Marianowicz: Ein Bandscheibenvorfall beispielsweise ist schon einmal per se kein medizinischer Notfall und erfordert deshalb auch keine sofortige Operation. Auch das Argument, ohne OP könne der Patient eine Querschnittslähmung erleiden, ist eine Mär – in dreißig Berufsjahren ist mir solch ein Fall nicht unter gekommen. Der chirurgische Eingriff ist nur dann berechtigt, wenn im Bein oder Arm schon Lähmungserscheinungen auftreten, ein Nerv abstirbt oder in der Wirbelsäule ein Tumor auftritt, was übrigens höchst selten der Fall ist. Insgesamt sind laut Studien gerade einmal ein bis vier Prozent aller Rückenpatienten von solchen Umständen betroffen. Sämtliche anderen Beschwerden lassen sich vollständig ohne Operation beseitigen. Ansonsten lässt sich sagen, dass der Maßstab für die Art der Therapie der – subjektiv empfundene – Schmerz des Patienten ist. Der Schmerz beantwortet die Frage, ob etwa die Stärkung der Muskulatur ausreicht, ob Schmerzmittel und Entzündungshemmer zum Einsatz kommen – oder minimal-invasive Verfahren angewendet werden müssen.
Was sollten Ärzte tun?
Dr. Marianowicz: Die intensive Beschäftigung mit dem Patienten, seinem gesamten Lebensumfeld sowie seiner beruflichen und privaten Lage ist das A und O im Rahmen der Diagnose. Das klingt selbstverständlich, ist aber leider längst nicht mehr gängige Praxis. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir bereits ein zwanzigminütiges Gespräch mit dem Menschen und die Auseinandersetzung mit seiner persönlichen Leidensgeschichte wesentlich mehr Erkenntnisse liefern als alle Röntgen- und Kernspinaufnahmen zusammen. Im Übrigen ist der Körper ein kleines Wunderwerk und durchaus „Naturheiler“. Wir Mediziner müssen ihm aber auch Zeit geben. 90 Prozent aller Schmerzen, die durch Bandscheibenvorfälle und ähnliches hervorgerufen werden, klingen mit einer konservativen Therapie innerhalb von sechs bis zwölf Wochen von alleine ab. Hinter dieser Aussage findet sich die Bestätigung, dass die bildgebenden Verfahren mitursächlich für den exorbitant hohen Anstieg an OPs sind: Früher, als es diese Methoden noch nicht gab, lag nicht so rasch die Diagnose vor und viele Fälle hatten sich bereits vor dem Griff zum Skalpell erledigt.
Wie bekommen Patienten Rückenprobleme ohne OP in den Griff?
Dr. Marianowicz: Einerseits lässt sich schon präventiv eine Menge für die Gesundheit tun: Der Mix aus ausgewogener Ernährung, moderater Bewegung und möglichst vielen Momenten der Entspannung verlängert das Leben um bis zu zehn Jahre. Für Rücken und Wirbelsäule ist insbesondere die Bewegung sehr wichtig, durch sie werden die Bandscheiben ausreichend mit Flüssigkeit versorgt. Selbst bei leichten Schmerzen rate ich nicht zur reinen Entspannung, auch dann sollte der Betroffene aktiv bleiben – hilfreich sind zum Beispiel 20 bis 40 Minuten Krankengymnastik. Für schwerwiegendere Fälle habe ich auf der Basis meiner Erfahrung aus 30 Jahren ein fünfstufiges Behandlungskonzept entwickelt, mit der sich Rückenschmerzen beseitigen lassen. Am Anfang stehen sanfte Methoden wie Muskeltraining und Reiztherapie, es folgen Injektionsbehandlungen mit Schmerzmitteln und Entzündungshemmern. Anschließend stehen Mikrotherapien und minimal-invasive Therapieformen auf dem Plan. Auf Stufe fünf erfolgt eine stationäre Komplextherapie, die Methoden der ersten bis vierten Ebene kombiniert. Die Methode hat Erfolg: 80 Prozent meiner Patienten kommen mit einer Therapie der Stufen eins und zwei aus und sind wieder so schmerzfrei, dass sie problemlos ihren Alltag bewältigen können – ohne Operation.
Wann schadet Übergewicht dem Rücken?
Dr. Marianowicz: Jedes zusätzliche Kilogramm muss unsere Wirbelsäule mittragen. Zwei, drei Kilo zuviel sind nicht problematisch – in der Größenordnung von 20 bis 30 Kilogramm wird es im wahrsten Sinne des Wortes zu schwer. Folgeprobleme treten auf: Die Körperhaltung ändert sich, was sich negativ auf den gesamten Bewegungsapparat auswirkt, Gelenke, Wirbel, alles ist überlastet. Außerdem startet ein Teufelskreis: Wer übergewichtig ist, bewegt sich noch weniger oder gar nicht mehr, was weitere Pfunde zur Folge hat. Eine gute Orientierung dafür, wann Übergewicht schädlich ist, bietet der Body-Mass-Index (BMI). Das Gewicht liegt – auch im Sinne der Rückenbelastung – im Idealbereich bei einem BMI zwischen 19 und 25. Bei einem BMI zwischen 25 und 30 sprechen wir von leichtem bis deutlichem Übergewicht, je nachdem, wie nah der Einzelne der „30“ kommt, ist der Handlungsbedarf dringend. Liegt der BMI über 31, ist ein starkes Übergewicht vorhanden. Hier sollte wirklich mit einer Ernährungsumstellung und einem individuellen Bewegungsplan an der Gewichtsreduktion gearbeitet werden. Aber: Die richtige Ernährung spielt die wesentliche Rolle – wer abnehmen will, muss essen, nicht hungern!
Kann man seinen Rücken mit der richtigen Ernährung zusätzlich stärken?
Dr. Marianowicz: Der Speiseplan hat großen Einfluss auf die Wirbelsäule. Gelenke, Muskeln, Bandscheiben – alle benötigen wertvolle Vitalstoffe aus der Nahrung. Zunächst einmal ist es wichtig, ausreichend Wasser zu trinken, das sollten am Tag mindestens zwei bis drei Liter sein. Der Gallertkern besteht zu 90 Prozent aus Wasser und muss permanent versorgt werden. Abgesehen davon, stärken Vitamine, Mineralien und Spurenelemente zusätzlich den Rücken. An Vitaminen sind insbesondere B, C, D und E hervorzuheben. Vitamin B sorgt für einen ausgewogenen Muskelapparat und ist wichtig für die Versorgung der Nervenleitungen, Vitamin C und E sind gemeinsam für einen dichten Knochenbau und starke Gelenke verantwortlich. Vitamin D fördert die Aufnahme des so wichtigen Kalziums ins Blut. Es wird übrigens nur mit Hilfe von Sonnenlicht unter der Haut gebildet, weshalb man sich gerade im Winter viel im Freien aufhalten sollte. Daneben spielen auch Magnesium, Zink als Immunschützer und Omega-3-Fettsäuren, die entzündungshemmende Wirkung entfalten, eine wichtige Rolle bei der Rückengesundheit. Wichtig ist insgesamt eine ausgewogene Ernährung und der Verzicht auf „Ungesundes“ wie Fast Food und Fertiggerichte. Auch Kaffee und Süßgetränke beispielsweise sind nicht gesund, weil sie dem Körper Kalzium entziehen. Und der Hauptgrund für die Osteoporose bei Männern im Alter ist der Alkoholkonsum.